Die materialistische Lehre, daß die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergißt, daß die Umstände eben von den Menschen verändert werden und daß der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie kommt daher mit Notwendigkeit dahin, die Gesellschaft in zwei Teile zu sondern, von denen der eine über der Gesellschaft erhaben ist.
Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit kann nur als umwälzende Praxis gefaßt und rationell verstanden werden.

Enteignen

„Deutsche Wohnen & Co enteignen“ – Der Ruf nach Eingriffen in die herrschende Eigentumsordnung wird lauter. Und das ist gut so. Denn wer ernsthaft gegen die sozialen (und ökologischen etc.) Verwerfungen in dieser Gesellschaft vorgehen will, wird zwangsläufig auf die Eigentumsfrage als DIE Kernfrage stoßen. Und wo deshalb, wie grade in Berlin, die Enteignung von Wohnungs- oder anderen Unternehmen gefordert wird, sind solche Bestrebungen unbedingt zu unterstützen. Hierbei geht es um nichts weniger als unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen: Wem sollen die Fabriken, Häuser usw. gehören?

Ob diese Frage mit dem oben genannten „Volksbegehren“ für die Enteignung der Immobiliengesellschaft ‚Deutsche Wohnen‘ ausreichend beantwortet ist, ist etwas anderes. Auch wenn laut einer bundesweiten Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung Enteignungen noch ablehnend gegenüber steht, muss man zuerst einmal festhalten, dass die realen Probleme auf dem Wohnungsmarkt (und keine idealistischen Überlegungen) diese Frage auf die Tagesordnung gebracht haben – und zwar dort, wo die Problematik am größten ist. Mietsteigerungen, Verdrängung, Zwangsräumungen, Obdachlosigkeit… die Fakten sind bekannt. Deren Verschärfung durch Bevölkerungswachstum im Zusammenspiel mit einer gesteigerten Profitmaximierung von Wohnungsunternehmen, wie in allen deutschen Großstädten, haben zu dem „Volksbegehren“ geführt – weshalb es in Berlin eben auch eine Mehrheit für die Enteignung gibt! Menschen, die bis vor kurzem jede Form von Enteignung ablehnten, unterschreiben auf einmal für das Volksbegehren!

Der Markt wird es schon richten…

… oder auch nicht. Grade im Bereich Wohnimmobilien hat der Staat seit Bestehen der Bundesrepublik kräftig mitgemischt. Seit Adenauer sollten Eigenheime der Proletarisierung entgegenwirken und das „Familienheim mit Garten“ den (christlichen) Familiengedanken fördern.

In Berlin ging es weniger um Eigenheime und Familienpolitik, nichtsdestotrotz hat der Staat dort, vor allem im Bereich des sozialen Wohnungsbaus, bis zum Ende des letzten Jahrhunderts aktiv eingegriffen. Wenn er das nicht tat, waren die sozialen Folgen meisten wenig positiv für die Mieter*Innen, wie die letzten 25 Jahre zeigen. Auch wenn die Steuerungsmöglichkeiten des Staates begrenzt sind (aktuell z.B. die Wirkungslosigkeit der Mietpreisbremse), die Marktlogik, Profit vor Bedürfnis, führt nicht automatisch zu einem besseren Ergebnis. Grade in einer wachsenden Stadt führt sie zuerst zur Verdrängung weniger zahlungskräftiger Mieter*Innen als zum versprochenen Neubau bezahlbarer Wohnungen! Und diesen hatte ja in der Vergangenheit der Staat nicht alleine dem Markt überlassen. Der Markt „funktioniert“ also nicht bzw. funktioniert er nur für einen Teil der Marktteilnehmer.

Deutsche Wohnen und Co

Deshalb ist, auch von vielen direkt Betroffenen des Berliner Wohnungsmarktes, dieses „Volksbegehren“ initiiert worden. Der „nicht funktionierende“ Wohnungsmarkt soll jetzt etwas eingeschränkt werden, indem ein großer Marktteilnehmer in ein gemeinnütziges öffentliches Unternehmen überführt wird. Noch immer sieht eine Mehrheit den Staat in der Pflicht, wie eine Umfrage im Auftrag der ZEIT zeigt: >>84 Prozent der Befragten [in ganz Deutschland] verlangen vom Staat, dafür zur sorgen, „dass die Mieten vorübergehend nicht stärker steigen als die Inflation“. „Preissteigerungen bei Mieterwechsel durch die Mietpreisbremse stärker zu begrenzen und kontrollieren“ halten 80 Prozent für „sehr gut“ oder „gut“.<<

Aber worum konkret geht es diesem „Volksbegehren“? Wohnungsgesellschaften mit mehr als 3000 Wohnungen sollen enteignet und in Anstalten öffentlichen Rechts überführt werden, die durch eine „mehrheitlich demokratische Beteiligung von Stadtgesellschaft und Mieter*innen verwaltet“ werden.

Die wichtigsten genannten Gründe dafür sind (siehe https://www.dwenteignen.de/warum-enteignen/):

  • Deutsche Wohnen und andere Gesellschaften verfolgen „eine Strategie der Mietpreissteigerung um jeden Preis“
  • „Insbesondere die Deutsche Wohnen, das führende Unternehmen im Berliner Immobilienmarkt, [besitzt] eine marktbestimmende Stellung“ 
  • „Die Auswüchse gegen Mieter in ihrer Gesamtheit keine tragischen Einzelfälle darstellen, sondern vielmehr Ausdruck eines strukturellen Problems einer rein profitorientierten Wohnraumbewirtschaftung sind. Dabei nehmen die führenden Immobilienunternehmen aufgrund ihrer Größe eine marktbeherrschende Sonderstellung ein. Sie sind einerseits aufgrund ihrer Größe in der Lage, die Entwicklung der Mieten und auch der Mietgesetzgebung zu beeinflussen (siehe Angriffe auf den Mietspiegel) und sind andererseits aufgrund ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung im Besonderen für Preissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt verantwortlich.“
  • Die „Deutsche Wohnen die Häuser vergammeln lässt, keine ausreichende Instandhaltung betreibt“
  • „Die Wohnungs- und Obdachlosigkeit“
  • Durch den staatlichen Eingriff würde der Spekulation Einhalt geboten. Eine Folge wären fallende Immobilien und Grundstückspreise. 

Die Grundlage des Übels, der Markt, soll damit zwar reguliert und beeinflusst, aber nicht grundsätzlich angefasst werden. Auch wenn die einschlägigen Politiker und Kommentatoren diesen „Teufel“ schon an die Wand malen. Und auch der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert, der auf den Zug der Enteignungsforderung aufspringen wollte, fordert lediglich, dass „Märkte den Menschen dienen und nicht umgekehrt“. (Tagesspiegel) Aber wie das Geld, dass nicht den Menschen dient, obwohl es von ihnen geschaffen wurde, hat der Markt seine eigenen Gesetze, bei denen es nur sekundär um Bedürfnisbefriedigung geht.

Welche Folgen könnte eine Enteignung haben?

Sicherlich könnten die betroffenen Mieter*Innen davon profitieren. Und auch die Mietsteigerung (104% in den letzten zehn Jahren für Neuvermietungen in Berlin) könnten gedämpft werden. Das Grundproblem, zu wenige Wohnungen, wird dadurch nicht gelöst. Vielleich haben die bürgerlichen Kritiker der Enteignung sogar recht, wenn sie befürchten, dass dadurch weniger private Gelder in neue berliner Wohnungen investiert werden. Dazu muss man aber festhalten, dass die Privaten in der Vergangenheit eben nicht die Lösung der Wohnungsnot anbieten konnten. Grade nicht im „niedrigen Preissegment“, für die besonders von Verdrängung und Wohnungsnot betroffenen, Wohnraum geschaffen haben. Deshalb fordern ja auch alle Mieter*Innenvereinigungen einen Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau als weitere staatliche Intervention.

Eine (teilweise) Enteignung ist also nicht die Lösung. Ein am Bedarf geplanter Neubau ist also in wachsenden Städten ebenso notwendig. Der Markt richtet es nicht, er kann es auch nicht richten. Eine am wirklichen Bedarf geplante Wohnungspolitik müsste also sowohl den Bestand als auch den zukünftigen Bedarf in eine Planung mit einbeziehen. Was wäre möglich, wenn alle Wohnungen und aller Wohnungsbau in gesellschaftlicher Hand wären? Warum nur eine Gesellschaft enteignen? Warum nur die Wohnungen? (Und warum muss das der Staat machen?)

Und es ist auch grundsätzlich zu fragen, ob der Bedarf, an dem sich orientiert werden sollte, denn auch der „zahlungsfähige Bedarf“ ist. Warum sollen Menschen, die Kinder und deshalb weniger Geld in der Tasche haben, in kleineren Wohnungen wohnen? Der Markt wird das nicht richten!

Enteignen!

Eine Verstaatlichung nur eines kleinen Teils von Wohnungen könnte also bestenfalls einen kleinen Effekt haben. Die Politik der staatlichen berliner Wohnungsgesellschaften, die, ebenso wie die Deutsche Wohnen, nach Profitinteressen agieren, zeigt das beispielhaft. Der Markt wird dadurch nicht ausgeschaltet, der Staatsbesitz ist nicht unbedingt ein Garant für „Wohnungsverwertung“ im Interesse der Mieter*Innen. Schlimmstenfalls passt sich der Staat dem Markt an. Trotzdem muss man die Diskussion um Enteignungen begrüßen und unterstützen, auch wenn sie bisher nur im bürgerlichen Rahmen der „sozialen Marktwirtschaft“ stattfindet. Also unterschreiben und mit abstimmen, sobald es die Möglichkeit dazu gibt!

Dabei sollte man im Hinterkopf behalten, dass es nicht um Verstaatlichung sondern um Vergesellschaftung gehen sollte, gesellschaftliches statt öffentliches Eigentum. Die Vorstellungen der Initiator*Innen gehen ja in diese Richtung. Gesellschaftlich kann Eigentum aber immer nur sein, wenn eine volle gesellschaftliche, also demokratische, Kontrolle und eine volle Unabhängigkeit von partikularen privaten Interessen besteht. Letztendlich kann das nur heißen, den Markt nicht regulieren zu wollen, sondern ihn abzuschaffen. Dazu müssen alle Produktionsmittel, nicht nur die, die auch direkt Konsumtionsmittel fast aller Menschen sind, vergesellschaftet – nicht verstaatlicht – werden.

philip

assoziation.info Mai '19