Die materialistische Lehre, daß die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergißt, daß die Umstände eben von den Menschen verändert werden und daß der Erzieher selbst erzogen werden muß. Sie kommt daher mit Notwendigkeit dahin, die Gesellschaft in zwei Teile zu sondern, von denen der eine über der Gesellschaft erhaben ist.
Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen Tätigkeit kann nur als umwälzende Praxis gefaßt und rationell verstanden werden.

Gemeinsamkeit von Groko, Jamaika und Ampel

Kommentar zur Bundestagswahl und Klimakrise

Bei allen, die sich erhofft hatten, die Bundestagswahl 2021 würde zur Klimawahl werden, ein Fanal für mehr Ökologie setzen oder am Ende gar zu einer Klimakanzlerin führen, muss die Enttäuschung groß gewesen sein. Allen Extremwettern und Katastrophen der letzten Jahre, Monate und Wochen zum Trotz, die Wahlen bestätigten nur, was die Umfragen des Sommers vorausgesagt hatten. Nicht einmal 15 % für die Grünen, und die LINKE, welche die meisten grünen Klimaversprechen abgeschrieben hatte und diese teilweise um einige Nuancen verschärfte, musste sogar katastrophale Einbußen hinnehmen. Auch Kleinstparteien wie etwa die Klimalisten oder die ÖDP, die sich dem Klima und der Ökologie verschrieben hatten, konnten keine nennenswerten Erfolge vorweisen.

Das merkwürdige dabei: Nach ihren größten Ängsten, Sorgen und Befürchtungen befragt, nennen die Deutschen in ziemlich allen Umfragen den „Klimawandel“ an Platz eins. In Wahlerfolge lassen sich diese Ängste allem Anschein nach bisher allerdings nicht so einfach ummünzten. Dabei waren die Programme von Grünen und LINKEN schon so zaghaft und vorsichtig in ihren Forderungen geschrieben, dass Klimaaktivist:innen erschreckt und das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) nüchtern feststellten, dass selbst bei 100%iger Umsetzung die CO2-Einsparungen nicht reichen würden, um auch nur die Klimaschutzziele von Paris einzuhalten. Besteht hier ein Widerspruch zwischen der hohen Wertschätzung des Klimaschutzes in Umfragen und der realen Wahlentscheidung in der Bevölkerung Deutschlands?

Nicht unbedingt: Einerseits wird der Klimawandel als größtes Problem angesehen und den Grünen dabei durchaus die höchste Kompetenz zugesprochen, dieses Problem handzuhaben. Andererseits sorgt man sich aber ebenfalls in großem Umfang um (steigende) Lebenshaltungskosten. Bringt man das zusammen, löst sich dieser Widerspruch auf. Klimapolitik ist einerseits das Wichtigste, aber sie soll nichts kosten und keinen Lebensstil einschränken. Das ist bisher die Haltung der Mehrheit der Deutschen. Obwohl die Grünen versuchen das Bild zu vermitteln, Klimaschutz schmerzfrei und ohne grundlegende Veränderungen des Bisherigen betreiben zu können, nimmt man ihnen das nicht recht ab.

Natürlich kann diese Haltung junge und für die Klimakrise sensible Menschen zunächst enttäuschen und wütend machen. Wichtig ist allerdings zu sehen, dass – egal ob nun eine Jamaika-, eine Ampel- oder eine weitere große Koalition die Regierungsgeschäfte antreten wird – sich die Vorstellungen der Mehrheitsdeutschen nicht verwirklichen werden: Klimaschutz ohne Einschränkungen. Eher kommt es zum genauen Gegenteil: Wenig Klimaschutz mit viel Greenwashing-Projekten und dadurch mitverursachten steigenden Lebenshaltungskosten. Denn vergessen wir nie: Selbst die Grünen Umweltexpert:innen in dem Sondierungsteam sind nur Weichspüler:innen. Bei allen beschworenen neuen Narrativen über eine „Zukunftsregierung“ werden die wirklichen Ergebnisse der kommenden Modernisierungspolitik alles andere als neu sein: Auch die bisherige Klimapolitik der Groko brachte zu wenig Klimaschutz, dafür aber steigenden Preise.

Wir können es uns jetzt aber nicht leisten, angesichts der vorherrschenden Illusionen über eine Klimaregierung den Kopf in den Sand zu stecken, sondern müssen den genannten Widerspruch des Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass-Klimaschutzes im Auge behalten. Zwei Tage vor den Wahlen hat die Klimabewegung mit ihrem Streiktag eindrücklich bewiesen, dass sie noch da ist. Worauf es jetzt ankommt, ist ein politisches Programm zu entwickeln, das den bürgerlichen Parteien im Parlament nicht hinterher watschelt, sondern eine eigenständige Perspektive jenseits des kapitalistischen Wachstumswahns entwickelt. Dafür muss man unbedingt die Schichten der Bevölkerung ansprechen, die den geringsten Beitrag zu Klimaverschmutzung leisten, aber den größten Beitrag zum Klimaschutz bezahlen sollen. Auf dem Boden dieser Gesellschaft wird es sehr eng – sowohl was den Klimaschutz anbelangt, als auch die sozialen Verteilungskämpfe. Hier werden immer nur „soziale“ und „ökologische“ Kosten – fein säuberlich getrennt – gegeneinander aufgewogen – mal mit dieser, mal mit jener Betonung. Die Enttäuschung über die neue Regierung – egal in welcher Koalition – wird allerdings kommen. Der große Hype, der jetzt um Jamaika oder Ampel aufgeblasen wird, wird sich als Luftblase erweisen. Darauf muss man sich vorbereiten und eine Programmatik entwickeln, um die Leidtragenden der „neuen“ Politik zu begeistern für den Kampf um ein besseres Leben statt dem Hecheln im Wachstumshamsterrad. Ein Leben mit wirklichem sozialökologischem Fortschritt, viel Lebensqualität und menschlicher Zufriedenheit.

Micha und Chris

assoziation.info Oktober '21